Der Vorwurf, Heavy Metal sei gewaltverherrlichend, begleitet das Genre seit seinen Anfängen in den 1970er Jahren. Und natürlich kokettieren die Metalheads selbst durch entsprechende Gesten mit dieser Zuschreibung, gilt es doch, sich von einem als scheinheilig und scheinfriedlich empfundenen Mainstream abzugrenzen. Aber gibt es Beweise dafür, dass Heavy Metal tatsächlich auf irgendeine Weise reale Gewalt fördert?
Die Antwort ist einfach: nein. Seriöse wissenschaftliche Studien, die beweisen, dass Heavy Metal seine Fans zu gewaltsamen Menschen macht, fehlen schlichtweg. Keine Statistik weist darauf hin, dass Metal-Fans oder Metal-Musiker brutaler sind als der Rest der Gesellschaft. Spektakuläre Einzelfälle und Ausnahmen (Stichwort: Norwegen, 1990er Jahre…) werden in den Massenmedien gerne als «pars pro toto» für Heavy Metal an und für sich gesetzt. Das klickt gut, hat aber mit der empirischen Realität nichts zu tun. Im Konzertgeschäft gilt das Metal-Publikum sogar als relativ friedlich. Jüngst hat der Fotograf und Black-Metal-Musiker Jan Utecht mit seinem Buch «Genuine Leather» (2024) die privaten und sensiblen Seiten von Musikern und Fans eindrucksvoll verewigt.
Im Metal geht es kaum je um eine banale Feier der Gewalt. Traditionell stehen die Schrecken des Krieges, der Missbrauch von Macht und die seelischen Schäden infolge von Gewalt im Vordergrund. Die üblichen, kommerziell meist aber nicht sonderlich erfolgreichen oder kulturell bedeutsamen Ausnahmen bestätigen diese Regel.
Die konservativen Kulturkämpfer des 20. Jahrhunderts, die die oft provokante und schockierende Auseinandersetzung mit Gewalt im Heavy Metal reflexhaft als Aufrufe zur Gewalt missverstanden (genauer: missverstehen wollten), sind im 21. Jahrhundert denn auch ruhiger geworden, zumindest in unseren Breitengraden. Grundsätzlich hat sich der Umgang der besorgten Mehrheitsgesellschaft mit Metal entspannt; in Skandinavien ist das Genre gar zum staatlichen subventionierten Kulturgut aufgestiegen.
So richtet sich die Aufmerksamkeit heute weniger auf unterstellte Aufrufe zur Gewalt als auf das, was man «Ästhetik der Gewalt» nennen könnte. Die hohe Lautstärke, die harte Verzerrung, das Keifen, Schreien, Knurren, die dunklen und abgründigen Texte und Coverabbilungen, aber auch Blastbeats, die an Maschinengewehrsalven erinnern – all das kann als Übersetzung von Gewalt in ästhetische Form verstanden werden. Und eine Ästhetik der Gewalt ist nicht identisch mit faktischer Gewalt oder triggert diese. Sie kann aus psychologischer Sicht sogar dazu beitragen, faktische Gewalt zu verhindern, indem sie inneren Aggressionen und Ängsten eine äussere Form gibt. Durch eine solche Veräusserung wird eine kulturelle, soziale, politische Auseinandersetzung mit Gewalt möglich, bevor es zu buchstäblicher körperlicher Gewalt kommt.
Darüber hinaus lässt sich Heavy Metal als «Memento» verstehen. Das Genre hält in den relativ friedlichen Konsumkulturen, in denen es entstanden ist, die Erinnerung daran wach, dass Gewalt jederzeit ausbrechen kann – sei es in Form von Übergriffen Einzelner oder kleiner Gruppen, sei es in Form von gross angelegter organisierter Gewalt, wie sie Staaten ausüben können. Dabei verschweigt Heavy Metal nicht, dass von Gewalt eine Faszination ausgeht. Denn nur wer diese Faszination kennt und versteht, statt sie einfach zu leugnen oder moralisch zu verdammen, kann ihr effektiv begegnen.
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