Die Apokalypse hat Metal von Beginn an geprägt. Ob in den ersten Songs von Black Sabbath oder Judas Priest, von Metallica oder Iron Maiden oder heute von Behemoth und Kreator – das Lied vom Weltende hat kein Ende im Metal. Wie aber kommt es, dass die Apokalypse in der lautesten und härtesten Musik der Welt eine so grosse Rolle spielt? Klar, für eine Musik voller Dramatik und Spektakel drängen sich Texte wie die Offenbarung des Johannes, des Horror-Mystery-Fantasy-Finales des Neuen Testaments, als Inspiration geradezu auf. Doch da ist noch mehr.
Metal entstand in den 1970er und 80er Jahren in Westeuropa und den USA, also in Regionen, die nicht unmittelbar von Kriegen oder Seuchen betroffen waren. Zwar drohte der Atomkrieg. Doch diese Bedrohung blieb virtuell. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel zu vermuten, dass es eines Musikgenres bedurfte, das ein zunehmend an Frieden, Wohlstand, Freiheit gewöhntes Publikum an die wirklich grossen Gefahren erinnerte. Genau das tut Metal mit seiner Fixierung auf das Dunkle, Überwältigende und Abgründige. Und genau das tun auch religiöse apokalyptische Texte. Sie warnen die Gläubigen vor Gefahren, die über das, was sie individuell kontrollieren können, hinausgehen. Zugleich geben sie Ratschläge oder Anweisungen, wie die Gefahren zu vermeiden sind – lebe gut, dann kommst Du beim Jüngsten Gericht ins himmlische Paradies!
Somit wohnt der Apokalypse nie nur Angst, sondern auch Hoffnung inne. Anders als im Blockbuster-Kino ist die Apokalypse nicht einfach nur eine Katastrophe, sondern die „Offenbarung“ oder „Enthüllung“ einer geheimen, verheissungsvollen Wahrheit. Diese Wahrheit bringt eine bedeutende Veränderung mit sich, eine „Krise“ im wörtlichen Sinne des griechischen „krisis“ und des lateinischen „crisis“: „entscheidender Wendepunkt“. In der Offenbarung des Johannes beispielsweise senkt sich ein neues Jerusalem herab, das spätere sozialistische und kommunistische Bewegungen vom metaphysischen Kopf auf die materialistischen Füße zu stellen versuchten. Im Metal ist es ähnlich.
Während viele Heavy-Metal-Songs bei oberflächlicher Betrachtung nur Leid und Not, die Grausamkeit des Krieges und das Ende der Welt ausbeuten, versprechen sie gleichzeitig Ermächtigung, Veränderung und Erneuerung. Kreator etwa weisen auf diese Janusköpfigkeit der Apokalypse in ihrem Song „Your Heaven, My Hell“ (2012) hin: „Let us celebrate the apocalypse/[… ] Let this last farewell resound across all lands, all cultures, no more cholera messiahs/Embrace the dawn of a new earth, different from the first, so let it bleed while a new light shines/Let’s kill all gods, let’s shatter hypocrisy/My eyes are wide open/My eyes are wide open/Your Heaven, My Hell. I, destroyer/Your heaven, my hell. I Creator.“
Party und Apokalypse, Zerstörung und Schöpfung – was könnte Metal besser auf den Punkt bringen?
Traditionelle religiöse und popkulturell-säkulare apokalyptische Werke müssen also nicht zu Passivität oder gar Fatalismus verleiten. Im Gegenteil – das drohende Jüngste Gericht oder die innerweltliche Apokalypse, dargestellt in drastischen Bildern, soll die Gläubigen/Fans dazu bringen, ihr Leben zu überdenken und zu versuchen, bessere Menschen zu werden.
Die religiöse Apokalypse ist, genau wie weite Teile des apokalyptischen Heavy Metal, in den Worten des Essayisten Magnus Enzensberger sowohl ein „Aphrodisiakum“ als auch ein „Angsttraum“. Damit erfüllt Heavy Metal eine wichtige soziale Funktion: Er schützt vor dem, was der Philosoph Günther Anders „Apokalypseblindheit“ nannte. Während viele gerade in Friedenszeiten das Dunkle und Bedrohliche verdrängen, rückt es Heavy Metal durch „Übertreibungen in Richtung Wahrheit“ (Anders) ins Bewusstsein. Wer sich mit Heavy Metal konfrontiert, konfrontiert sich aber nicht nur mit dem, was in Zeiten des (relativen) Friedens vernachlässigt und verdrängt wird, sondern auch mit der dunklen Faszination, die von Krieg, Krankheit, Leid ausgeht. So kann Heavy Metal dazu beitragen, mentale Resilienz aufzubauen.
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